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Von: Marcel Sowa
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Ein Auto, das am Hochfelln 100 Meter in die Tiefe zu stürzen drohte. Ein 50 Meter Absturz am Watzmann, der glimpflich endete. Zwischendurch viele größere und kleinere Einsätze: Die Bergwachten im Chiemgau und Berchtesgadener Land haben momentan alle Hände voll zu tun. Für Regionalgeschäftsführer David Pichler ist klar: So arbeitsreich wird es für die ehrenamtlichen Bergretter in den kommenden Tagen weitergehen. Dabei wären viele Notfälle vermeidbar. Beispiele dafür gibt es genügend.
Traunstein/Berchtesgadener Land - Das Gefühl täuscht nicht: Aktuell vergeht fast kein Tag, an dem die Bergretter der Region nicht zu einem Einsatz ausrücken müssen. Regelmäßig sind die Hubschrauber zwischen den Bergen zu hören und zu sehen. Doch David Pichler macht klar: Es handelt sich um ein normales Einsatzaufkommen für diese Jahreszeit. „Wir stecken mitten in der Hochsaison im Sommer“, schildert der Regionalgeschäftsführer der Bergwacht Chiemgau, welche die Landkreise Traunstein, Berchtesgadener Land und Altötting umfasst.
Die Vorfälle der vergangenen Tage
- 1000 Schutzengel: Warum die Irrfahrt einer Seniorin (82) am Hochfelln glimpflich endete
- Radfahrer (56) aus dem Kreis Altötting stirbt am Ristfeuchthorn bei Schneizlreuth
- Wie durch ein Wunder: Wanderer (44) überlebt 50 Meter Absturz am Watzmann
- Bergwacht rettet erneut Urlauber vom verwaisten Hochstaufen-Goldtropfsteig
- Lichtsignale aus Felswand lösen nächtlichen Großeinsatz aus – doch es war alles ganz anders
- Oberarm gebrochen, Radunfall und ein toter Spaziergänger: Einsatzreiche Wochen für Bergwacht BGL
- Mehrere Notfälle: Bergwacht Marquartstein muss gleich dreimal ausrücken
Die Gründe für die Einsätze fallen immer wieder unterschiedlich aus. Doch zwischen all den Erkrankungen, Verletzungen und psychischen Blockaden beim Auf- oder Abstieg befinden sich auch Notfälle, die beim genaueren Betrachten vermeidbar gewesen wären. Oft spielt eine mangelnde Tourenvorbereitung eine Rolle. Sei es die Ausrüstung, die Planung der Strecke oder die realistische Einschätzung der eigenen Kondition: Pichler und die Bergretter erleben immer wieder, wie diese Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt und manchmal sogar komplett ignoriert werden.
Ohne Erfahrung gleich auf 2000 Höhenmeter?
„Häufig sind die Betroffenen zum ersten Mal vor Ort, weil sie hier Urlaub machen. Dementsprechend kennen sie auch die Bedingungen und Anforderungen nicht“, schildert der Regionalgeschäftsführer. „Man muss die Berge immer respektieren und sich langsam an sie herantasten.“ Sich ohne jegliche Erfahrung gleich 2000 Höhenmeter vorzunehmen, das sei eine schlechte Idee. Pichler vergleicht es bildhaft mit einem touristischen Highlight am anderen Ende von Deutschland: „Wenn ich zum ersten Mal an der Nordsee bin, sollte ich auch nicht alleine eine Wattwanderung machen, wenn ich die Gefahren und Verhältnisse nicht kenne. Das lässt sich eins zu eins auf die Berge übertragen.“
Zur Vorbereitung gehört es auch, die Wettervorhersage zu beachten und stets die Wolkenbildung am Himmel oder am Horizont im Blick zu behalten. „Auch das zeugt von mangelnder Tourenplanung, wenn man nicht auf die Vorhersage achtet. Denn normalerweise kann man heutzutage fast nicht mehrvon Gewittern überrascht werden“, teilt der Bergretter mit. Doch immer wieder kommt es zu genau solchen Vorfällen: So geschehen Anfang August, als zwei vermisste Bergsteiger wetterbedingt eine komplette Nacht an einer Felswand auf 2200 Meter Höhe am Watzmann verbringen mussten.
Ein Biwaksack für den Fall der Fälle
„So eine Übernachtung in einem Not-Biwak ist immer eine Herausforderung, egal zu welcher Jahreszeit. Das muss man einfach durchstehen“, betont Pichler. Natürlich seien beim Vorfall am Watzmann die Witterungsverhältnisse nicht so schlimm gewesen wie im Winter. Eine Nacht im Schneefall und bei Minus-Temperaturen an einem Berg zu verbringen, ist natürlich eine andere Hausnummer. Aber Pichler macht darauf aufmerksam, dass bei abgelegenen Touren immer ein Biwaksack mitgenommen werden sollte - auch im Sommer. „Bei einem plötzlichen Wetterwechsel und Temperatursturz kann das auch im Sommer das eigene Überleben sichern.“
Wir wollen den Menschen klarmachen, welch aufwendiger und ehrenamtlicher Einsatz dahinter steckt, wenn wir ausrücken
In ihren Berichten schildern die Bergwachten immer wieder sehr detailliert, wie viele Retter beteiligt waren und für wie viele Stunden. Das geschieht natürlich nicht ohne Grund. „Wir wollen den Menschen klarmachen, welch aufwändiger und ehrenamtlicher Einsatz dahinter steckt, wenn wir ausrücken“, so Pichler. Denn oft riskieren die Mitglieder der Bergwachten auch ihr eigenes Leben.
Auf die Bergretter hören
Umso wichtiger ist es, dass sich die Betroffenen auch an die Anweisungen der Experten halten, wenn sie sich in einer hilflosen Lage befinden. Einerseits, um die Rettungskräfte nicht zu gefährden und die Suche sowie den Einsatz zu erleichtern. Andererseits, um sich nicht selbst in unnötige Gefahr zu begeben. „Wir teilen den Betroffenen immer mit, wie sie sich in ihrer konkreten Situation am besten verhalten sollen: Zum Beispiel im Dunkeln mit der Stirnlampe Leuchtsignale geben sowie generell an Ort und Stelle bleiben. In der Regel werden diese Anweisung auch befolgt.“
Doch es gibt auch Fälle, in denen die Menschen in ihrer Notlage - vermutlich aus dem Schock oder der Überforderung heraus - sich den Aufforderungen der Bergretter widersetzen und auf eigene Faust handeln. Das passierte unter anderem vor wenigen Wochen, als ein Mann an der Hochkalter-Westwand, der eigentlich einen sicheren Stand hatte, ein waghalsiges Manöver startete und beinahe vor den Augen der Einsatzkräfte abstürzte.
Es werden noch viele Einsätze dazukommen
Pichler vermutet, dass die arbeitsreichen Tage und Wochen noch anhalten werden. Mindestens bis zum Ende der Feriensaison, aber auch darüber hinaus. „Das hängt auch vom Wetter ab: Je schöner und besser die Bedingungen, desto mehr Menschen sind in den Bergen unterwegs.“
Je schöner und besser die Bedingungen, desto mehr Menschen sind in den Bergen unterwegs.
Natürlich spielt auch Social Media eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie erst kürzlich ein tragischer Unfall am Tegelberg im Ostallgäu zeigte. Hier würden sich Pichler und seine Kollegen wünschen, dass bei jedem Foto oder Videoclip immer die eigene Sicherheit vor dem eigentlichen Motiv steht.
Denn wie gefährlich das Wandern und Klettern in der Bergwelt sein kann, zeigen nicht nur die bisherigen Zahlen in diesem Jahr. Der Kolbermoorer Experte Klaus Hegele weiß ganz genau, worin seiner Ansicht nach die größten Gefahren für Leib und Leben bei Touren im Gebirge bestehen, wieso auch das Glück eine wichtige Rolle spielt und was er Einsteigern in den Bergsport rät. (ms)
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